Berliner Zeitung:

Als wäre nicht schon alles schlimm genug in dem von existenzgefährdenden Sparmaßnahmen bedrohten Ressort, für das der viel gescholtene Kultursenator Joe Chialo (CDU) zuständig ist. Nun muss die Künstlerische Betriebsdirektorin der Volksbühne, Celina Nicolay, ihren Mitarbeitern eine weitere demoralisierende Nachricht überbringen: Das norwegisch-deutsche Theaterpaar Vegard Vinge und Ida Müller hat sich gegen die interimistische Übernahme der Intendanz für die kommenden beiden Spielzeiten entschieden.

Das geht aus einem Schreiben vom Montag hervor, das „nach Rücksprache mit der Kulturverwaltung“ entstanden ist und der Berliner Zeitung vorliegt. Die Mitarbeiter wurden darüber hinaus bei der turnusmäßigen Versammlung am ersten Montag des Monats darüber informiert.

Demnach seien die Gründe für die Absage vielfältig. „Ausschlaggebend war wohl am Ende, dass die Personen, die sie gern mitbringen wollten, in der Kurzfristigkeit nicht verfügbar sind sowie die aktuellen Haushaltskürzungen, die für die Zeit bis Sommer 2027 eine unsichere Situation schaffen.“ Das Schreiben weist darauf hin, dass die beiden für ihre Radikalität bekannten Künstler sich lange mit dem Thema beschäftigt und sich die Absage nicht leicht gemacht hätten.

Anfang Oktober, genau zwei Monate zuvor, ebenfalls bei der Montagsversammlung, hatte Joe Chialo die beiden der Belegschaft mit ihren vorläufigen Plänen präsentiert. Unmittelbar danach, noch vor der Ausverhandlung und Unterzeichnung des Vertrags, wurde die Nachricht an die Medien durchgestochen. Es ist nach der Antidiskriminierungsklausel und dem Umzug der Landesbibliothek in das ehemalige Kaufhaus Galeries Lafayettes das nächste Prestigeprojekt von Chialo, das an der Realität scheitert. Die Begründung der beiden verweist allerdings auf sein größtes politisches Versagen, nämlich darauf, die eklatanten Rasenmäher-Sparvorgaben des Finanzsenators an die Kulturszene ungefiltert durchgereicht zu haben.

Die Volksbühne etwa mit ihrem Etat von gut 20 Millionen Euro soll gemäß diesen Vorgaben in 2025 glatte zwei Millionen einsparen, das würde die für die Kunstproduktion eingeplanten flexiblen Mittel des Hauses, das ohnehin künstlerisch durch eine Krise geht und viele Löcher im Spielplan aufweist, übersteigen. Wie bei jedem stehenden Theater machen die Fixkosten für Personal und Betrieb den Großteil, nämlich bis zu 90 Prozent, des Etats aus.

Die Idee, Vinge und Müller das Haus für zwei Spielzeiten zu überlassen, verströmte viel Charme und Tapferkeit, vielleicht auch viel Ahnungslosigkeit in kunstfeindlichen Zeiten, denn die beiden stehen für eine Ästhetik der Überforderung, Kompromisslosigkeit und der Selbstgefährdung. Ihre bis zu zwölfstündigen Vorstellungen waren geprägt von wilden Aktionen, arbeiteten mit Ekel-, Schmerz- und Zermürbungseffekten. Ihr „Zwölfspartenhaus“ bei den Festspielen oder die Ibsen-Inszenierungen am Prater der Volksbühne gehören zum Eindrücklichsten und Verstörendsten, was man in Berlin in den letzten Jahren auf der Bühne sehen konnte. Immerhin kann sich Berlin auf ihre geplante „Peer Gynt“-Produktion gefasst machen, die ungeachtet der verworfenen Interimsintendanz die kommende Spielzeit der Volksbühne eröffnen soll. „Auch für weitere Arbeiten sind sie gesprächsbereit“, heißt es in dem Brief an die Mitarbeiter.