Von Peter Laudenbach SZ
Was Demis Volpi, der intern offenkundig heftig umstrittene Leiter des Hamburg Ballett, gerade erlebt, ist so etwas wie der perfekte Shitstorm. Fünf der elf Ersten Solisten, die Stars der Compagnie, haben aus Protest gegen den erst seit Beginn dieser Spielzeit amtierenden Intendanten gekündigt. Über die Hälfte der Tänzerinnen und Tänzer hat einen Beschwerdebrief an Hamburgs Kultursenator Carsten Brosda (SPD) unterzeichnet – Tenor: Der vierzigjährige argentinische Choreograf ist als Intendant der falsche Mann am falschen Ort.
Kurz darauf machten auch Tänzer der Deutschen Oper am Rhein in Düsseldorf, Volpis vorheriger Station als Intendant, ihren Ärger über den Ex-Chef öffentlich. Solidaritätsbekundungen anderer Tänzer mit Volpi bleiben bisher aus. Ob die Hamburger Compagnie im Verhältnis zu ihrem neuen Intendanten gespalten ist oder ob seine Kritiker für das gesamte Ensemble sprechen, lässt sich von außen kaum beurteilen. Aber die öffentlich gemachte und dadurch erst recht verschärfte Krise zeigt erste Folgen. Am Mittwoch hat Volpi seine für den 6. Juli geplante Uraufführung „Demian“ abgesagt und die Premiere auf den Dezember verschoben. Stattdessen zeigt er im Juli die Wiederaufnahme seiner Inszenierung „Surrogate Cities“, die er im vergangenen Jahr in Düsseldorf herausgebracht hat. Man kann sich die von gegenseitigem Misstrauen geprägte Atmosphäre im Probensaal vorstellen. Kreative Arbeit wird in dieser Lage schwierig.
Jetzt werden die Tänzer anonym zu ihrer Arbeitssituation befragt
Jetzt unternimmt die Hamburger Kulturverwaltung mit einer anonymen Befragung der Tänzer zu ihrer Arbeitssituation eine „Gefährdungsbeurteilung“, wie das im Arbeitsrecht heißt. Das ist eigentlich ein Routinevorgang, in Hamburg wurde er jetzt zeitlich deutlich vorgezogen. So wirkt die Befragung wie ein Signal, dass man in der Politik die Klagen der Tänzer ernst nimmt und gleichzeitig fair mit allen Beteiligten, auch mit Volpi, umgehen will. Ob die eingeschaltete Mediatorin die Krise lösen kann, ob es sich jetzt rächt, dass der Übergang von der langen, strahlenden Ära von Volpis Vorgänger John Neumeier zum neuen Intendanten nicht mit Führungskräfte-Coachings begleitet worden ist, ja, ob Volpi als Intendant zu halten sein wird, ist derzeit völlig offen. In der Auseinandersetzung um Volpis Führungsstil wird ein Konfliktmuster sichtbar, das jeder Abteilungsleiter, jede kluge Geschäftsführerin und sowieso jeder Organisationssoziologe kennt: Vorgesetzte sind von ihren Untergebenen mindestens so abhängig wie diese von ihnen. Chefs brauchen die Akzeptanz ihrer Leute, sonst haben sie keine Chance. Für die mehr oder weniger misstrauische Beobachtung der Vorgesetzten durch die Untergebenen hat der Soziologe Niklas Luhmann analog zur Überwachung von oben den schönen Begriff der „Unterwachung“ geprägt – die informale Kontrolle von unten nach oben. In einem sehr lustigen, spöttischen und kenntnisreichen Text beschreibt Luhmann, wie erfahrene Angestellte den neuen Chef beobachten, einhegen und kontrollieren. Wenn dabei etwas schiefgeht, wenn der neue Chef zum Beispiel die informalen Machtressourcen, Eigeninteressen und Prägungen im Team falsch einschätzt und in aller Naivität glaubt, was im Organigramm steht (ich Chef), kann es scheppern. Beim Hamburg Ballett scheppert es gerade ziemlich lautstark.
Ein Teil der Tänzer und Tänzerinnen der Compagnie werfen ihrem neuen Chef einen respektlosen Führungsstil, Unprofessionalität, mangelndes Engagement und künstlerische Defizite vor. Indem sie das öffentlich machen, wird deutlich, dass es schon lange nicht mehr um eine interne Beschwerde oder einen Dialogversuch geht, sondern schlicht um einen Machtkampf mit zunehmend verhärteten Fronten. Von Volpi enttäuschte oder gekränkte Tänzer, von denen es offenbar einige gibt, versorgen interessierte Medien mit Detailwissen.
Die Vorwürfe: Volpi sei „manipulativ“, zu selten im Haus, ihm sei nicht zu trauen, er habe eine junge Tänzerin zum Weinen gebracht und sei auch künstlerisch im Prinzip nicht ernst zu nehmen. Ein Ensemblemitglied hat Mitte Mai eine Aussprache zwischen Volpi und der Compagnie diskret protokolliert, das Protokoll wurde an die Presse weitergereicht. Das ist die harte Form der „Unterwachung“ und ein demonstrativer Vertrauensbruch. Ohne geschützte Gespräche sind Dialogversuche kaum noch möglich. Der Spiegelzitiert Alexandr Trusch, einen der Hamburger Solisten, der aus Protest gekündigt hat und seine Empörung über Volpis Wirken besonders deutlich artikuliert, mit einem Satz, der fast klingt wie eine persönliche Kriegserklärung: „Demis Volpi muss weg.“ So sieht eine Konflikteskalation aus, die Anstandsregeln hinter sich lässt und am Ende nicht nur Volpi, sondern alle Beteiligten schwer beschädigt.
Aber handelt es sich bei dem Choreografen tatsächlich um einen gefährlichen Dilettanten, den personifizierten Ruin der Ballett-Kunst, einen Sadisten, der seinen Posten benutzt, um empfindliche Künstlerseelen zu quälen, wie seine Kritiker unterstellen? Oder ist es vielleicht doch etwas komplizierter als im Genre des schrillen Künstlerschurken-Stücks mit der übersichtlichen Täter-Opfer-Dramaturgie? Man kann zumindest fragen, ob einige der Vorwürfe gegen Volpi übertrieben sind.
Nach der Ausbildung nicht übernommen: Das ist ohne Frage hart und verletzend. Aber es ist nicht Machtmissbrauch
Ein Beispiel: Ein Düsseldorfer Tänzer klagt, er sei so schlecht behandelt worden, dass er ein Jahr lang krankgeschrieben war. Er musste in einem Tanzstück eines anderen Choreografen, aber unter Volpis Verantwortung als Ballett-Direktor, statt zu tanzen, volle zehn Minuten reglos auf einem Tisch liegen. Das sei demütigend gewesen. Manchmal genügt für den gefühlten Machtmissbrauch offenbar schon eine harmlose Theaterszene. Ein anderes Beispiel: Die junge Hamburger Tänzerin, die bei einem Probenbesuch Volpis eine Panikattacke erlitten hat und weinen musste, war nach ihrer Ausbildung nicht in die Compagnie übernommen worden. Das ist ohne Frage hart und verletzend – aber es ist nicht Machtmissbrauch, sondern das Recht des Intendanten, über Engagements zu entscheiden.
Inzwischen sprechen renommierte Ballett-Intendanten anderer Häuser gegenüber der SZ von einer „Hexenjagd“, die gerade in Hamburg stattfinde. In einem vor Kurzem veröffentlichten Statement beklagt der Verein der „Freunde des Ballettzentrums“, dass derzeit die „besonders überreizte mediale Aufmerksamkeit“ die Compagnie und ihren neuen Intendanten nicht „zur Ruhe kommen“ lasse. Das ist, mit Hamburger Understatement, fast schon ein Hilferuf.
Hinterlassen Sie einen Kommentar