Christine Dössel in der SZ vom 12.8.2023:
Der Regisseur Kay Voges soll neuer Intendant am Schauspiel Köln werden. Wie aus gut informierten Theaterkreisen zu erfahren war, ist der 51-Jährige der Kandidat, den die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker am Montag dem Hauptausschuss der Stadt vorschlagen und, wenn alles glatt geht (wovon auszugehen ist), am Dienstag der Öffentlichkeit vorstellen wird. Voges, derzeit Intendant am Wiener Volkstheater, würde dann in der Spielzeit 2025/26 die Nachfolge von Stefan Bachmann antreten, der seinerseits nach Wien wechselt. Bachmann löst dort Martin Kušej als Direktor am Burgtheater ab; er fängt schon im Herbst nächsten Jahres an. In dem einen Jahr bis zu Voges‘ Antritt 2025 wird der Regisseur Rafael Sanchez das Kölner Schauspiel interimistisch leiten. Diese Interimslösung wurde bereits im Juni bekannt gegeben. Alles andere wäre für mögliche Kandidatinnen und Kandidaten aufgrund der kurzen Vorlaufzeit „nicht realisierbar“ gewesen, hieß es von Seiten der Stadt.
Kay Voges ist Düsseldorfer, geboren 1972. Er hat einen Ruf als künstlerischer Grenzgänger und Tüftler, der das Theater Richtung bildende Kunst erweitert und viel mit visuellen, multimedialen Mitteln experimentiert. Vor seinem Wechsel ans Volkstheater Wien war er zehn Jahre lang, von 2010 bis 2020, Intendant am Schauspiel Dortmund, und das sehr erfolgreich. Er hatte ein starkes Ensemble, brachte das Haus als Digital-Theater in die vordere Liga und mit seiner „Borderline Prozession“ 2017 zum Berliner Theatertreffen. Er inszeniert auch Opern und versteht sich überhaupt auf die große Bühne. Viele hätten ihn sich als Intendanten der Berliner Volksbühne vorstellen können – und gewünscht. Stattdessen wurde es dann das Wiener Volkstheater mit seinem schwierigen Image und einem immer noch stockkonservativen Stammpublikum. Voges macht und bewegt viel, und inzwischen kommen auch mehr Zuschauer. Aber irgendwie passt er da nicht hin.
Voges ist ein weißer, regieführender Mann über 50 und tritt auch nicht im Kollektiv an – insofern überraschend
Voges für Köln hingegen, das erscheint als eine wirklich gute, sinnvolle Lösung. Vielversprechend. Und doch auch überraschend: Voges ist keine Frau, nicht queer, keine Person of Color, und er tritt auch nicht im Kollektiv an – alles Kriterien, die gegenwärtig als Bewerbungsvorteile gelten können. Noch dazu in Köln, wo sich das Ensemble mit einem Thesenpapier zur Zukunft des Schauspiels deutlich zu Wort gemeldet hat. Darin heißt es: „Wir wollen eine multiperspektivische Intendanz mit Mitsprache- und Gestaltungsmöglichkeiten seitens des Ensembles.“ Zwar ist der sanfte Kommunikator Voges alles andere als ein Hierarch. Aber er ist nun mal ein weißer, regieführender Mann über 50. Einen solchen zu berufen, war jahrhundertelang eine Selbstverständlichkeit, jetzt ist es erklärungs- und durchsetzungsbedürftig, wenn nicht hier und da sogar mutig.
Mit seiner Äußerung, es gäbe für ein Haus dieser Größe im „männlich dominierten Theaterbetrieb“ nur einen sehr begrenzten (männlichen) Kandidaten-Pool, hatte der Kölner Kulturdezernent Stefan Charles bei einer Podiumsdiskussion nicht nur im Ensemble Unmut erregt. Es gibt ja schon auch weibliche Kandidaten. Regisseurinnen wie Pınar Karabulut, Anna Bergmann und das Leitungs-Trio des Zürcher Neumarkttheaters (Hayat Erdogan, Tine Milz und Julia Reichert) waren im Gespräch. Ersan Mondtag, oft Regisseur in Köln, hatte sich, so viel man weiß, gar nicht erst beworben. Dafür war Nicolas Stemann bis zuletzt im Rennen, der das Schauspielhaus Zürich verlässt, auch wieder ein Dude. Andererseits ist gerade Voges‘ Nachfolgerin am Schaupiel Dortmund, die sehr unglücklich agierende Julia Wissert, sicherlich ein Negativbeispiel, das bei der Suche zu denken gab.
Die Intendanzfindung für das Schauspiel Köln steht unter verschärfter Beobachtung, seit die letzte dort grandios gescheitert ist. Oberbürgermeisterin Reker hatte im Januar 2019 den Salzburger Theaterchef Carl Philip von Maldeghem als Nachfolger für Bachmann vorgestellt. Diese in einem undurchsichtigen Findungsprozess getroffene Entscheidung stieß auf ein derart negatives Echo, dass Maldeghem von sich aus einen Rückzieher machte. Stefan Bachmann, der das Kölner Schauspiel seit 2013 erfolgreich leitet, bot dann doch noch mal eine Verlängerung an.
Nach dieser Erfahrung behalf sich Köln nun mit einer Findungskommission, so wie viele Städte. Die Besetzung dieser Kommission wurde sogar öffentlich gemacht. Ihr gehörten an: Karin Beier, die Intendantin des Hamburger Schauspielhauses (und Bachmanns Vorgängerin in Köln), Kathrin Mädler, Intendantin des Theaters Oberhausen, und natürlich Ulrich Khuon, noch bis vor zwei Monaten Intendant am Deutschen Theater Berlin – er sitzt so gut wie in jeder Findungskommission und ist ein einflussreicher Strippenzieher. Des weiteren waren der Kölner Kulturdezernent und jemand aus dem Personalrat des Theaters vertreten – niemand aus dem Ensemble, wie von diesem gefordert.
In Köln geht es darum, ein künstlerisch sehr gut aufgestelltes Theater nicht nur in die Zukunft, sondern auch in die Stadt zurückzuführen. Das Schauspielhaus am Offenbachplatz wird seit zehn Jahren saniert, Bachmann und seine Truppe haben all die Jahre in einer Interimstätte in Köln-Mülheim gearbeitet und diese zu einem lebendigen Kulturstandort ausgebaut. Der Umzug in das dann fertige Schauspielhaus zur Spielzeit 2024/25 wird unter der Interimsleitung von Rafael Sanchez vonstattengehen, der in Köln Hausregisseur ist. Danach wird sich das Haus neu erfinden müssen. Dass dafür jemand mit Leitungserfahrung und eigener künstlerischer Handschrift von Vorteil ist, dürfte sich von selbst verstehen. Kay Voges ist diese Aufgabe zuzutrauen.
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